„Seit gestern ist die Welt eine andere geworden“

Seit gestern ist die Welt eine andere geworden.

Europa muss den USA die Hand ausstrecken. Und in Deutschland müssen die demokratischen Parteien eine gemeinsame Sprache finden.

Demokratie ist zerbrechlich. Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit. Das weiß ich, weil ich in einem Land aufgewachsen bin, wo JournalistInnen verhaftet und politische Gegner ermordet werden.

Und um das tun zu können müssen wir unter uns in der Basis eins und geschlossen sein: Für die Demokratie, für den Rechtsstaat und für den Schutz der Menschen vor verheerenden Folgen des Klimawandels.

Wir müssen damit rechnen, dass wir nicht alle von der grünen Politik geforderten Maßnahmen durchsetzen können; dass wir alle uns in Zukunft etwas einschränken müssen. Das Budget für Sicherheit wird heftig steigen, und das in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage. Aber wir müssen versuchen, gemeinsam mit den anderen demokratischen Parteien eine Lösung für uns, für Europa zu finden.

Es wird Kompromisse geben müssen, es wird Widersprüche geben, aber so ist es in einer Demokratie.

Wir können uns nur streiten gerade WEIL wir in einer Demokratie leben. Wenn wir jetzt auf die USA schauen, sehen wir, dass es höchste Zeit ist, unsere Demokratie zu schützen.

Wir müssen als aller erstes unsere demokratischen Institutionen schützen. Das sind die Behörden, das sind die Gerichte, und auch die Parlamente selbst. Die Hürden, in diese Institutionen einzudringen und sie in ihrer Struktur zu verändern, sie anzugreifen, müssen höher gesetzt werden.

Ich hatte ursprünglich nie vorgehabt, Jura studieren. Bevor ich nach Deutschland kam, war mir Recht und Rechtsstaat komplett fremd. Doch als ich die Grundrechte-Vorlesung besucht habe, hat mich die deutsche Verfassung so sehr begeistert, dass ich bis zum Ende studiert habe und zwei Staatsexamen abgeschlossen habe.

Aus meinem früheren Leben kannte ich nicht, dass man als Bürger irgendwelche Rechte hat, geschweige denn diese selbst gegenüber dem mächtigen Staat durchsetzen kann.

Deswegen: Heute als Juristin mit zwei Staatsexamen sehe ich mich in der Pflicht, alles in meiner Macht zu tun, um unsere Verfassung und unsere Demokratie zu schützen.

Dazu gehört als wesentlicher Baustein die Aufgabe, das Bundesverfassungsgericht zu schützen. Wir müssen unseren Verfassungshüter hüten, indem wir wichtige Strukturmerkmale des Bundesverfassungsgerichts im Grundgesetz festschreiben, und die Bindungswirkung von Entscheidungen dieses Gerichts besonders schützen.

Das alles können wir aber nicht im Alleingang machen. Eine Änderung des Grundgesetzes bedarf der 2/3 Mehrheit.

Also der politische Leitfaden für diese extremst schwierige Zeit muss sein: Kooperieren, im Wohle des Landes handeln, damit wir die Demokratie für immer genießen können.


Es wird Einschnitte geben. Der Klimaschutz wird unter der neuen Situation leiden. Es wird Bedürfnisse geben, die dringender sind, als die Mobilitätswende konsequent durchzuführen. Es wird Situationen geben, wo wir politisch und ideologisch an unsere Grenzen kommen müssen.

Aber auch in harten Zeiten wie diesen müssen wir unsere Ziele immer wieder vor Augen führen. Wir wollen Veränderungsprozesse zu einer ökologischen Welt einleiten und die Menschen dabei sozialpolitisch zu begleiten.

Auch in schwierigen Zeiten haben wir gescha[t, schnellstens eine Lösung zu finden und die Energieversorgung Deutschlands sicherzustellen.

Auch in schwierigen Zeiten haben wir es gescha[t, trotz immer zunehmender wirtschaftlicher und sozialer Herausforderungen wichtige Weichen für eine Wende bezüglich Klimaschutzes zu stellen und unseren Klimazielen näher zu kommen.

Das Umweltbundesamt hat im März die Projektionsdaten zur künftigen Entwicklung der Treibhausgasemissionen veröffentlicht.

Die Daten zeigen, dass das Klimaschutzziel für 2030 greifbar ist. Die Klimaschutzlücke, die zu Beginn der Legislaturperiode noch vorhanden war, wird 2030 vollständig geschlossen, wenn Deutschland Kurs hält.

Wenn jemand in Krisenzeiten den kühlen Kopf behalten und sachliche und menschliche Entscheidungen treTen kann, dann sind das wir Grüne.

Wenn jemand trotz allen Chaos der Welt werteorientiert handelt, dann sind das wir Grüne.

Stellt euch mal vor, was wäre, wenn unsere angestoßenen Veränderungsprozesse Fahrt aufnehmen und Wirkung zeigen, dann ist eine ökologische Welt, wo Wirtschaft, Ökologie und Menschlichkeit zusammenleben, gar nicht mehr weit entfernt.

Der Weg bis dahin ist aber seit gestern wesentlich schwieriger geworden. Die kommenden Monate werden uns sicher extremst herausfordern, uns an Grenzen stoßen.

Als Politiker lernt man irgendwann, die Kunst des ungefähren Sagens zu meistern.

Aber für heute Abend, in dieser historischen Zeit, lasst uns einfach ehrlich zueinander sein. Denn mir sind Ehrlichkeit und Integrität sehr wichtig. Das sind die Werte, die mir Deutschland beigebracht hat; es hat sich bisher immer gelohnt, ehrlich und integer zu sein. Und das waren wir Grüne bisher immer und werden das in Zukunft immer bleiben.

Gemeinsamkeit und Geschlossenheit sind heutzutage rares Gut geworden. Auch das sind die Werte, die mir Deutschland beigebracht hat.

Wenn alles wackelt, dann sind das die Werte, die uns verbinden, uns zusammenbringen und wieder nach vorne bringen werden.

Wir geben nicht auf und stehen gemeinsam zu unseren Werten.

Vielen Dank!

Nominierungsrede zur Kandidatur für den Bundestag, Wahlkreis Calw-Freudenstadt, gehalten am 07.11.2024 in Altensteig